„Mein Gott, sehen sich die Leut` selber nicht? Hier sind doch lauter Spiegel und Schaufenster in denen man sich mal begucken kann?“, dachte sie, ohne diese Frage wirklich an Herbert zu stellen. Er kannte es schon zu gut. Immer wenn sie es mal wieder über sich brachten aus ihrem Dorf in die Stadt zum Bummeln zu fahren, konnte sie es nicht lassen sich furchtbar aufzuregen – über die Leut`. Doch sie brauchte es raus zu kommen auch wenn sie dann merkte wie ihr der Anblick der Menschen das Augenlicht wegfraß. Ohne Betäubung, wohlgemerkt. Ist ja auch wahr! Die, die ihnen auf der Shoppingmeile entgegen watschelten waren ja auch eine Zumutung! Fuuurschtaaar!
Da zum Beispiel, dieses junge Ding am Schaufenster. „Was soll das darstellen? Was hat sie da überhaupt an? Hat sie etwa vergessen den Rock anzuziehen?“, die Frau verpasste Herbert einen gekonnten Seitenhieb und zeigte ihm mit ihrem vorgeschobenen Kinn die Richtung in die er schauen sollte. „Was ist das für Mode heute, wenn die Jugendlichen Strümpfe anziehen und loslaufen!?“, sagte sie halblaut und schüttelte den Kopf. „Oder dieses Ungetüm von Mann. Wie kann man das Oberhemd in blauen Karos und die Shorts in giftgrünen Streifen anziehen, die im Übrigen völlig daneben sind, bei solch kalkigen Beinen! Entweder ist er farbenblind oder er hat keine Frau, die ihn seine Geschmacksverwirrung zurechtrückt.“, kicherte sie, über ihre eigene vermeidliche Schlagfertigkeit, amüsiert. Herbert räusperte sich nur verlegen, starrte den Boden an und beschleunigte sein Gang.
Sie schaute ihn prüfend von der Seite an. Müde zog er ein Bein nach dem anderen hinter sich, wie ein Esel den Karren bergauf. Er hat keine Lust darauf, das sah sie. Das sieht jeder! Wie peinlich. „Herbert“, zischte sie gedämpft. „Reiß Dich gefälligst zusammen, die Leut` gucken scho`…“
„Herbert sieht gut aus für sein Alter“, stellte sie selbstzufrieden fest. Seine Haltung lässt zwar zu wünschen übrig aber ansonsten ist er anständig angezogen. Zum Friseur schickte sie ihn nicht mehr. Das ist ihr zu teuer gewesen. Seine drei Haare bekam sie auch noch gebändigt. Das gesparte Geld investiere sie lieber in ein gutes After Shave. Er duftet jetzt gut.
Nicht so wie die Männer an der Kasse, die sich morgens ihr Pennerglück holen oder die Bauarbeiter abends, wenn sie sich ihr Feierabendbier besorgen. „Warum gibt es eigentlich kein Einkaufs-Knigge, zum Kuckuck noch mal!“, schimpfte sie innerlich. Früher, da hat es sich keiner erlaubt in so einem Zustand in der Öffentlichkeit aufzutreten. „Allein, meine Mutter hätte sich vermutlich eher erschossen, als auf der Straße eine Bratwurst zu essen.“, stellte sie mit spitz geschürzten Lippen fest und schaute sich um nach ihrem nächten Opfer. Ja, da war es schon! Die da drüben, die sogar beim Kinderwagen schieben, den Glimmstängel im Mundwinkel hängen hat. Empöööörend! Oder die da. Wie schrecklich! Sieh sich das einer mal an! Wer hat dieser Frau eingeredet, dass sie diese Leggins tragen kann? Lauter Knochen mit zwei Bällen. Ein Wunder, dass es nicht klappert. Diese Oberweite kann nicht echt sein! „Herbert, hör auf zu glotzen…Männer!“, schnaufte sie empört und drehte den Kopf weg.
„Und das Walross da hinten! Wäre sie nicht schon grau, dann würde ich bei dem Bauch denken, sie ist schwanger.“, murmelte sie gepresst und wollte ihrem Gatten gerade wieder einen Seitenhieb verpassen als sie in der Bewegung erstarrte. „Momente Mal“, dachte sie. „Was macht der Herbert da…neben?“